Pressemeldung vom 25.01.2021:
Immer wieder werden Akteure der Kultur- und Kreativwirtschaft auf Hartz IV verwiesen, weil andere Programme zur Unterstützung während der Pandemie nicht greifen – ein großes Missverständnis.
Spätestens seit März 2020 ist klar: Viele Akteure der Kultur- und Kreativwirtschaft gehören zu den großen Verlierern der Coronakrise. Denn die Unterstützungsprogramme von Bund und Ländern können hier oft gar nicht greifen. Insbesondere Soloselbstständige oder darstellende Künstlerinnen und Künstler sind davon betroffen. Sie fallen mangels betrieblicher Fixkosten oder als Hybridexistenzen mit einer zusätzlichen Teilzeit-Festanstellung zur Sicherung der Grundkosten momentan durch sämtliche Förderraster und landen am Ende beim Arbeitslosengeld II (ALG II), besser unter Hartz IV bekannt.
Das Grundproblem dieser Zuordnung erklärt sich eigentlich schon durch die Begrifflichkeit: „Diese nicht unerhebliche Anzahl kreativer Akteure ist aktuell nicht arbeitslos, sondern unterliegt durch das Veranstaltungsverbot und die Schließung von Kultureinrichtungen einer Art staatlich verordnetem Berufsausübungsverbot“, erläutert Katrin Neoral, Kulturmanagerin und Mitglied der Kulturplattform jourfixe-muenchen e.V.. „So eine Situation gab es in dieser Form noch nicht, deshalb müsste eigentlich klar sein, dass vorhandene Auffangsysteme wie das ALG II nicht passgenau sein können.“
Mit der Soloselbstständigen-Hilfe hat das Land Bayern zwar endlich ein entsprechendes Programm aufgestellt, das auch gut angenommen wird, doch es ist bisher auf den Zeitraum von Oktober bis Dezember 2020 begrenzt und kommt zudem für viele Betroffene zu spät. Denn wer sich inzwischen durch das komplizierte und derzeit „erleichterte“ Antragsverfahren des ALG II durchgekämpft hat und zumindest eine Grundsicherung erhält, sitzt häufig schon in der Falle: „Da ich als Kabarettist kaum klassische Betriebskosten habe, bin ich durch alle Förderraster gefallen und lebe seit Juni von Hartz IV“, bestätigt auch Sänger Ecco Meineke und ehemaliges Ensemblemitglied der Münchner Lach- und Schießgesellschaft. „Es reicht hinten und vorne nicht – und es wird schwierig, da wieder rauszukommen.“
Das Problem von Meinecke haben viele betroffene Akteure der Branche: Das ALG II ist nämlich vom Grundprinzip so angelegt, dass die Bezieher möglichst schnell wieder in eine Festanstellung kommen. „Für soloselbstständige Kreative passt das nicht“, erläutert Carola Kupfer, Präsidentin des Bayerischen Landesverbands der Kultur- und Kreativwirtschaft (BLVKK) das Dilemma. Denn um ihre Geschäftstätigkeit wieder hochzufahren oder alternative Geschäftsmodelle zu entwickeln, müssten ALG-II-Empfänger in die Wiederaufnahme ihres Business investieren. Deshalb bemühten sich viele soloselbstständige Kreative um zusätzliche Einnahmen. Welche Betriebsausgaben angemessen seien und bei der Gewinnermittlung angesetzt werden dürften, beurteile jedoch das Job-Center. Von dieser Einschätzung hänge ab, ob sich der sogenannte degressive, auf den Gewinn bezogene Freibetrag bei der Anrechnung von Einkommen aus selbstständiger Tätigkeit auf ALG II-Leistungen erhöhe. Viele Sachbearbeitende seien jedoch für die Situation von Kreativ-Unternehmer*innen nicht geschult und könnten deshalb den Sinn bestimmter Investitionen nicht adäquat einschätzen. „Der ALG-II-Bezug verdammt die Betroffenen somit im Grunde zur Aufgabe ihrer unternehmerischen Tätigkeit. Oder anders gesagt: Hartz IV wird für die Betroffenen zur Sackgasse – und unterm Strich für Bayern ein Riesenverlust!“, beklagt Kupfer.
Ein Beispiel illustriert das Dilemma anschaulich: So muss ein Musiker mit seinen Sachbearbeitenden im Job-Center abklären, ob er Einnahmen z.B. aus privatem Online-Unterricht in eine Album- oder Video-Produktion investieren darf, die er braucht, um zukünftig wieder an Auftritte zu kommen. Dasselbe gilt für Equipment für professionelle Streamings – derzeit die einzige Möglichkeit, um irgendwie in der Öffentlichkeit präsent zu bleiben. „Wer hier Pech hat, kommt in seinem Beruf als Soloselbstständiger nicht mehr auf die Beine“, fasst Neoral ihre Erfahrungen aus der freien Musikszene zusammen.
Es bleibt also abzuwarten, ob Bund und Länder noch nachbessern – oder tatsächlich zulassen, dass über das ALG II wirtschaftlich einst erfolgreiche Existenzen vernichtet werden. Derzeit werden die betroffenen Unternehmer*innen jedenfalls systematisch zu Hartz-IV-Empfängern gemacht, nur weil sie eben nicht ins klassische Administrationsraster passen. Dass damit für die Gesellschaft ein Teil der Kultur und Lebensqualität wegbrechen würde, ist inakzeptabel – und ganz nebenbei auch ein großer wirtschaftlicher Schaden. Und was passiert, wenn der „erleichterte“ Zugang zum ALG II nach dem 31. März aufgehoben wird, steht auf einem ganz anderen Blatt.
Weitere Informationen: Carola Kupfer, Tel. 0171-3411682, carola.kupfer@blvkk.de